Die Bertinis by Giordano Ralph

Die Bertinis by Giordano Ralph

Autor:Giordano, Ralph [Giordano, Ralph]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104002989
veröffentlicht: 2014-11-01T16:00:00+00:00


Nach Romans Rückkehr ließen sich die Bertinis nicht im Dorfe sehen. Auch baten sie nicht um den Schlüssel für die Kirche, damit Alf proben könne. So wußten sie am Sonntag nicht, wie der Gemeindediener sich verhalten würde.

Schon früh lag eine schwere Spannung über dem Dorf. Lange vor der gewohnten Zeit fand eine wahre Völkerwanderung statt, die Zahl der Gottesfürchtigen schien sich vervielfacht zu haben. Von allen Seiten, sternförmig, aus der Richtung Rattingen und Obenwalde, vom Tümpel und von den Höfen vor dem nahen Horizont, strebten die Bewohner von Bodendorf der Kirche zu.

Als Alf und Roman Bertini den Rand des Platzes erreichten, war sie bereits überfüllt, so daß sich draußen ein schweigendes Spalier gebildet hatte, eine stumme Masse von Gesichtern, denen weder Zustimmung noch Abneigung anzusehen war. Unter denen, die in der Kirche keinen Sitz mehr gefunden hatten, entdeckte Roman im Schatten der großen Kastanie Elfriede Wölpert mit Tochter Rosel; Wilhelm und Wilhelmine Garchert; ferner Elisabeth Niebert samt ihrer adretten, finsteren Mutter, und Wilhelm Krogel, auch heute nicht ganz nüchtern in seinem jammervollen Dienstanzug.

Die beiden Bertinis, diesmal übrigens der Sohn einen Schritt vor dem Vater, kamen bis vor die geöffnete Kirchentür, so weit, daß sie das Innere erkennen konnten – die helle Front der ihnen zugewandten Köpfe und Pastor Schnigg auf der Kanzel, die Hände gefaltet und bereits ganz versunken in die Vorbereitung seiner Predigt.

Als Alf und Roman aber ihren Fuß über die Schwelle setzen wollten, trat Theodor Wandt aus der Kirche hervor, einen schwarzen Rock über, in kurzen Stiefeln, die schwere Glocke in der Hand, und setzte ein Bein weit vor.

Stille breitete sich aus, im Gotteshaus und auf dem ganzen Platz.

Roman stand kaum einen Meter von dem Gemeindediener entfernt. Er sah die dunklen Wimpern und die Brauen, die wie zwei feindliche Raupen gegeneinander vorstießen; die etwas gelblich getönte Haut; die geblähten Nasenflügel; diese ganze gedrungene, sprungbereite Gestalt – nie war Roman dem Gegner, dem Bösen, dem Gegenpol so nahe gewesen, so von Angesicht zu Angesicht gegenüber, auch damals nicht im Stadthaus, vor den schrecklichen Lampen, die noch gnädig gegleißt hatten, gemessen an den Blicken, mit denen Theodor Wandt ihn jetzt maß.

»Juden haben in einer christlichen Kirche nichts zu suchen«, sagte der Gemeindediener, die Arme nach beiden Seiten ausgebreitet, laut und langsam.

Ringsum blieb es still, in der Kirche und auf dem Dorfplatz. Die Bauern und die Bäuerinnen, mit dem schwarzen Gesangbuch unter dem Arm in die Mitte Bodendorfs gekommen, standen unbewegt in den Strahlen einer erschöpften Spätsommersonne – sie standen da und regten sich nicht. Wie alle anderen, schwieg auch die Gruppe unter der großen Kastanie. Der Mund von Rosel Wölpert hatte sich noch törichter geöffnet; Elisabeth Niebert hatte beide Hände vor das häßliche Gesicht geschlagen, als wollte sie nicht sehen und nicht hören, was da am Kircheneingang geschah. Nur Wilhelm Krogel traf Vorkehrungen einzugreifen, allerdings ohne daß es dazu kam. Als er schwerfällig die rechte Hand hob, um sich wie unter einem Thingbaum zu Worte zu melden; als er mit glasigen Augen schwankend drei Schritte vortrat, unverkennbar gewillt zu protestieren,



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